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Fall: Die mathematische Formel


Ein theoretischer Physiker möchte eine Formel, die er in einem Artikel sieht, weiterverarbeiten. Das soll nicht ermöglicht werden!

Im e-Zeitalter ist dies eine wichtige Professionalisierung der eigenen wissenschaftlichen Arbeit: das Dokument auf den Bildschirm holen (mit Formeln in MathML oder LaTeX), Copy and Paste der Formel in eine lokale Datei! Dann kann eine Auswertung mittels MAPLE erfolgen, um Beispiele durchzurechnen, grafische Darstellungen zu erzeugen, Umformulierungen zu testen oder den Import in ein FORTRAN-Programm (für numerische Rechnungen) vorzunehmen. Das alles ist kein Problem, wenn theoretisch-physikalische Arbeiten etwa im Online-Archiv http://www.arxiv.org vorliegen. Eine solche Nutzung stellt eine beträchtliche Effizienzsteigerung der wissenschaftlichen Arbeit dar.

Was ist aber, wenn es keine "Open Access"-Version im Netz gibt? Dann hat der Wissenschaftler nach den Vorstellungen des Referentenentwurfs für den zweiten Korb die Wahl ( § 53a UrhG Kopienversand auf Bestellung): Wird vom Verlag ein (meist überteuertes) Pay-per-View-Angebot gemacht, dürfen die Bibliotheken eine Direktlieferung nur per Post oder Fax vornehmen. (Dass auch bei der Faxübermittlung elektronische Dateien versandt werden, wird vom Entwurf nicht gesehen. Zumindest lässt er nicht erkennen, wieso sich der Faxversand wesentlich vom Versand einer grafischen Datei unterscheiden soll, da Fax und E-Mail heutzutage problemlos technisch ineinander überführt werden können.) Bei elektronischer Übermittlung sollen die Bibliotheken nur Grafikdateien versenden dürfen - die digital lokal weiterverarbeitbare Formel bleibt auf der Strecke!

Liegt einer Bibliothek ein Verlags-PDF vor, so muss dieses für den elektronischen Versand in ein Image-Only-PDF umgewandelt werden, etwa indem man den Artikel ausdruckt und nochmals einscannt! (Dass der Inhaber eines leistungsfähigen OCR-Programms bei reinen Textinformationen sich sehr rasch einen zu 98 oder 99 Prozent zuverlässigen E-Text aus der Grafikdatei erstellen kann, wozu ihn etwa der eigene wissenschaftliche Gebrauch in § 53 UrhG berechtigt, wird vom Referentenentwurf ignoriert. Aber: OCR klappt leider bei mathematischen Formeln wegen der Sonderzeichen und der Anordnung der Symbole gerade nicht.)

Ein mögliches Szenario aus der Praxis eines theoretischen Physikers: Man radle in die Bibliothek (in Oldenburg 2.5 km im Regen und gegen den Wind), warte, bis der einzige Bildschirm frei wird, sehe die Formel (analoges Bild), schreibe sie ab auf einen Zettel, radle zurück, tippe sie ein (und gehe zurück auf Los, wenn man sich vertippt haben sollte) - so kann man nicht international wettbewerbsfähig sein in der Wissenschaft, wenn man deren Gespött überlebt hat!

Mit der geplanten Regelung stehen die mit öffentlichen Geldern aufgebauten Dokumentlieferdienste wie SUBITO vor dem Aus, denn die Verlage werden flächendeckend Pay-per-View-Angebote aufbauen - auf der Strecke bleibt die rasche und kostengünstige Versorgung mit wissenschaftlicher Literatur.

Vorschlag Wie in der HI-Stellungnahme gefordert, sollten die vorgesehenen Beschränkungen des § 53a entfallen: elektronische Übermittlung als E-Text, auch wenn das Pay-per-view-Angebot eines Verlages vorliegt.


    Literatur und Links
Gesetzestexte und Referentenentwurf
  • Urheberrechtsgesetz (UrhG), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.9.2003 (sog. "erster Korb")
  • Referententwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft mit Begründung
  • Von Dr. Ole Jani, wiss. Mitarbeiter der FPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, erstellte Synopsis, die das geltende Urheberrecht und die Änderungen durch den Referentenentwurf gegenüberstellt
  • Richtlinine 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft
Stellungnahmen
  • DINI-Stellungnahme 6.5.2004
  • Ulrich Sieber, Memorandum zur Berücksichtigung der Interessen des Bildungsbereichs bei der Reform des Urheberrechts, 2004
  • HI-Stellungnahme zum Referentenentwurf für den 2. Korb
  • Kurzstellungnahme des Aktionsbündnisses "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" zum Referentenentwurf
Sonstige Literatur zum Urheberrecht

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