Pressemitteilung 7/06
vom 19. April 2006
Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft warnt
Börsenverein vor einer Enteignungskampagne
Die von der Bundesregierung vorgesehenen, aber noch vom Parlament zu
beschließenden Ausnahmen zugunsten Bildung und Wissenschaft im sog.
Zweiten Korb des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft sollen
nach Aussagen des Justiziars des Börsenvereins, Christian Sprang, und
des Vorsitzenden des Urheberrechtsauschusses, Wulf D. von Lucius
(Börsenblatt 13/2006), die Verlage enteignen, weil den Bibliotheken zu
weitgehende Rechte für die Informationsversorgung von Bildung und
Wissenschaft zugestanden würden.
Das ist für sich schon eine absurde Behauptung, die suggeriert, dass das
Wissen aus Bildung und Wissenschaft, das Verleger verlegen, ihnen
gehöre. Die Polemik mit der Enteignung ist aber auch deshalb fatal, weil
sie unredlich ist. Von den Verlagsvertretern wird quasi eine
Äpfel-Birnen-Argumentation aufgebaut: Die Nutzung von Printmedien und
elektronischen Medien werden nach Belieben verwechselt und vermischt.
Stein des Anstoßes für die Verlage sind in Bezug auf Dienstleistungen
der Bibliotheken zwei geplante Normen.
Zum einen soll es entsprechend dem geplanten § 52b UrhG künftig
Bibliotheken, Archiven und Museen gestattet sein, ihre Bestände auch
digital bzw. digitalisiert in den Räumen der Bibliothek gegen eine
angemessene Vergütung zur Nutzung zur Verfügung zu stellen (§ 52b UrhG).
Zum zweiten soll das Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1999
in Sachen Kopienversand durch Bibliotheken in das Urheberrechtsgesetz
Eingang in einen neuen § 53a UrhG finden. Der Börsenverein hatte damals
den Prozess in Sachen Kopienversand verloren, und man kann sich des
Verdachts nicht entziehen, er möchte ihn nunmehr im
Gesetzgebungsverfahren erneut aufrollen.
Beide Ausnahmetatbestände sind konform mit der zugrunde liegenden
EU-Richtlinie zur Harmonisierung des Urheberrechts und verwandter
Schutzrechte in der Informationsgesellschaft von 2001, die im übrigen
ansonsten nicht sehr großzügig mit Ausnahmen umgeht, sondern die
Verwerterinteressen explizit in den Vordergrund stellt.
Was befürchten also die Verlage? In Bezug auf den neuen § 52b, dass
Bibliotheken sich analoge und elektronische Bestände aus der ganzen Welt
ausleihen könnten, retrodigitalisieren und ihren Nutzern kostenlos und
uneingeschränkt zugänglich machen, so dass niemand mehr ein Interesse am
Kauf der Verlagsprodukte hat. Die Verlage beschwören die leeren
öffentlichen Kassen und dass die Träger der Bibliotheken nur auf so eine
Norm warteten, um die Anschaffungsetats kürzen zu können. Der
Börsenverein unterschlägt einfach, dass die Norm auf solche
Bibliotheksbestände zielt, die sich im Besitz der Bibliothek befinden
und für die keine anders lautenden vertraglichen Bestimmungen gelten.
Dass diese jetzt auch am Bildschirm gelesen werden können, ist im
Informationszeitalter doch eine Selbstverständlichkeit.
Natürlich haben die Bibliotheken ihre Bestände gekauft und werden es
auch in Zukunft tun. Bibliotheken sind aber noch mehr, sie sind, und
das sollten die Verlage nicht übersehen, ein kostenfreier
Marketingpartner für sie. Eine erst jüngst erstellte, bislang
unveröffentlichte Studie der Stiftung Lesen hat ergeben, dass aktive
Bibliotheksbenutzer 9 Bücher im Jahr käuflich erwerben, hingegen der
Nichtbibliotheksbenutzer nur 1,1. Abgesehen davon, sind es vorrangig
oder sogar exklusiv die Bibliotheken, die die ständig sich verteuernde
wissenschaftliche Fachliteratur erwerben, da sie eine Privatperson gar
nicht mehr bezahlen kann. Um die Befürchtungen der Verlage nachhaltig zu
entkräften, hat der Deutsche Bibliotheksverband e.V. sogar angeboten,
eine Selbstverpflichtungserklärung abzugeben, wonach sich das
Anschaffungsverhalten der Bibliotheken nicht auf Grund der Anwendung des
§ 52b ändern wird. Wenn also Herr von Lucius schreibt, dass ,,Studenten
und Wissenschaftler sich künftig kostenlos mit Literatur eindecken
können'', wenn es den § 52b gibt, dann muss man sich fragen, ob Herr von
Lucius noch weiß, wie Bibliotheken arbeiten.
Zweiter Kampfplatz der Verlage ist der Kopienversand per Mail. Hier will
die Bundesregierung den Versand einer Kopie direkt an den Besteller, wie
es der BGH 1999 entschieden hat, per Post und Fax gestatten, aber die
elektronische Lieferung nur dann, wenn der Verlag nicht selbst pay per
view anbietet. Welch (aus Sicht des Aktionsbündnisses unbegreifliches)
Entgegenkommen zugunsten der Verlage!
Das Aktionsbündnis hat mehrfach deutlich gemacht, dass auch der § 53a,
der den Kopienversand regelt, für Bildung und Wissenschaft nicht
akzeptabel ist. Negiert werden durch die vorgesehene Regelung gleich
mehrere zwischenzeitlich ergangene BGH-Entscheidungen ( u.a.
elektronischer Pressespiegel und Scanner-Urteil), in denen hervorgehoben
wird, dass die Nutzung neuer Technologien, wie die digitale, nicht
gleichzeitig bedeutet, dass Ausnahmen im Allgemeininteresse abgeschafft
oder unverhältnismäßig beschränkt werden müssen. Vielmehr ist auf die
Nutzung, die dem Empfänger möglich ist, abzustellen. Das elektronische
Versenden einer nicht recherchierbaren und auch nicht weiter
verarbeitbaren Grafikdatei (Faksimile) lässt beim Empfänger immer nur
eine analoge Nutzung zu. Somit ist der jetzt vorgesehene elektronische
Versandweg nur ein Mittel, um dem Besteller eine Kopie zur analogen
Nutzung zukommen zu lassen. Hinzu tritt, dass die Kopien auf Bestellung
zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch des Bestellers (§ 53 UrhG)
nach geltendem deutschen Urheberrechtsgesetz und nach der
Urheberrechtsrichtlinie in der Informationsgesellschaft anerkannte
Rechte sind. Erst recht ist es mit den Zielen einer offenen
Informationsgesellschaft nicht vereinbar, wenn, wie am Ende von § 53a
vorgesehen, den Verlagen quasi ein Monopol im Kopienversand, d.h. in der
Versorgung der Wissenschaft und Bildung mit schnell benötigten
elektronischen Informationen zu beliebigen Marktpreisen eingeräumt
wird.
Angesichts dieser Kritik ist es ein wenig paradox, jetzt diesen
vorgesehenen Paragraphen gegen den Börsenverein zu verteidigen. Dennoch
zur Klarstellung:
Auch hier werden vom Börsenverein Äpfel und Birnen durcheinander gemixt.
Der Kopienversand durch Bibliotheken basiert ausnahmslos auf gedruckten
Quellen, pay per view der Verlage hingegen auf genuinen elektronischen
Werken, die sich zum Abruf bereits im Netz befinden.
Wenn jemand durch den Referentenentwurf tatsächlich enteignet wird -
oder, um die Polemik weg zu nehmen, wer durch die vorgesehenen
Regelungen stark eingeschränkt wird -, dann sind es doch eher Bildung
und Wissenschaft und der Autor, der Kreative, eben der Urheber, der
eigentlich im Mittelpunkt des Schutzes stehen soll, und keinesfalls der
Verwerter, der Verleger.
Das Aktionsbündnis appelliert an den Börsenverein, nicht erneut an die
wüsten und unredlichen Kampagnen aus der Zeit des Ersten Korbes, 2002
und 2003, anzuknüpfen, sondern sich an den Tatsachen zu orientieren.
Das Aktionsbündnis ,,Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"
(http://www.urheberrechtsbuendnis.de/) wurde 2004 im Zusammenhang mit
der Novellierung der Urheberrechtsgesetzgebung in Deutschland
gegründet. Das Aktionsbündnis setzt sich für ein ausgewogenes
Urheberrecht ein und fordert für alle, die zum Zweck von Bildung und
Wissenschaft im öffentlichen Raum tätig sind, den freien Zugang zur
weltweiten Information zu jeder Zeit von jedem Ort. Grundlage des
Aktionsbündnisses ist die Göttinger Erklärung zum Urheberrecht für
Bildung und Wissenschaft vom 5. Juli 2004. Diese Erklärung wurde
unterzeichnet von sechs Mitgliedern der Allianz der
Wissenschaftsorganisationen (Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der
angewandten Forschung e.V., Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher
Forschungszentren e.V., Hochschulrektorenkonferenz,
Max-Planck-Gesellschaft, Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm
Leibniz e.V. und Wissenschaftsrat), von 260 wissenschaftlichen
Fachgesellschaften, Informationseinrichtungen und Verbänden sowie von
mehr als 3700 Einzelpersönlichkeiten. Sprecher des Aktionsbündnis sind
Prof. Kuhlen (Konstanz), Prof. Beger (Hamburg), Dr. Degkwitz
(Cottbus). Weitere Informationen über Nachfrage an: rainer.kuhlen at
uni-konstanz.de, beger at sub.uni-hamburg.de und degkwitz at
tu-cottbus.de
Impressum
Prof. Dr. Rainer Kuhlen
c/o Universität Konstanz
Postfach D-87
D-78457 Konstanz
Tel +49-(0) 7531-88-2879 Fax +49-(0) 7531-88-2048
rainer.kuhlen at uni-konstanz.de www.urheberrechtsbuendnis.de
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Next Relevant Dates |
6. November 2020
Jahrestagung des Aktionsbündnisse (online)
Ein Status-Überblick zum Urheberrecht — national und in Europa
Programm und Anmeldung
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News |
April 6th 2021
The coaltion of action takes a position on the "draft law to adapt copyright law to the requirements of the digital single market".
Opinion of April 6, 2021 on the Draft Law.
Opinion of Februar 22, 2021 on the Draft Law.
Opinion of November 6, 2020 on the Draft Bill.
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October 7th 2020
Published by de Gruyter:
Rainer Kuhlen, „Die Transformation der Informationsmärkte in Richtung Nutzungsfreiheit — Alternativen zur Als-ob-Regulierung im Wissenschaftsurheberrecht“.
Online unter DOI: 10.1515/9783110693447
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February 28th 2018
UrhWissG comes into force — not a big progress, but greater legal certainty and some improvements
(Press Release)
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November 20th 2017
All presentations given at our anual meeting on November 8, 2017 are available online:
(Presentations).
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June 7th 2017
The copyright reform (UrhWissG) was passed — facilitation, but no reason to cheer
(Press Release)
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June 26th 2017
An appeal to the German Bundestag: The UrhWissG has to be passed without restrictions within this legislative period.
The Coalition for Action calls on the two chairmen of the CDU/CSU and of the SPD, Volker Kauder and Thomas Oppermann,
to release the governmental draft for the German Copyright Act for the vote in the Bundestag, and then
we call the members of the Bundestag to eatablish the law without restrictions.
(Press Release)
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May 22nd 2017
FAZ, you can not win this fight — distorted journalism in terms of copyright by publisher and managing director of FAZ newspaper
The action alliance criticizes the open letter of the editors and managing directors to the German Bundesrat of 12.5.2017 and of the 18.05.2017 to the deputies of the German Bundestag.
Through these letters the "makers" of the newspaper try to exert pressure on the legislature. This behavior can only be described as unusual and extremely dubious.
(Press Release)
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May 10th 2017
Der Bundesrat sollte sich nicht von den Untergangsszenarien des Börsenvereins blenden lassen.
Wir haben in einer Stellungnahme an den Bundesrat diesen aufgefordert, den Gesetzesentwurf zum
„Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz — UrhWissG“ anlässlich seiner Plenarsitzung am
12. Mai 2017 nicht aufzuhalten, sondern im Prinzip zu unterstützen.
(Press Release).
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April 27th 2017
Die Zeit drängt: Bildung und Wissenschaft brauchen eine Reform des Urheberrechts!
Wir unterstützen weiter den vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf für eine Reform des Urheberrechts, jedoch
bedauern wir die Verschlechterungen des Regierungsentwurfs im Vergleich zum Referentenentwurf.
(Press Release)
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February 14th 2017
We make you aware that on the website
www.publikationsfreiheit.de is being tried, to manipulate
the public and in particular the authors in education and science with incorrect claims in favor of
publishers' interests.
(Press Release).
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January 24th 2017
The way has not yet come to an end — but the direction is right
The Coalition for Action sees in the draft bill for a "Copyright Law Knowledge Society Act —
UrhWissG" from the ministry for justice an important step in the direction of an education and science-friendly copyright law.
(Press Release)
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December 21st 2016
The road to the One General Exception for Education and Research (ABWS) should now be free now & mdash; Go ahead, Minister Maas!
(Press Release).
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December 15th 2016
KMK, VG Wort and HRK must finally create clarity
The joint press release of KMK, VG Wort and HRK from 9 December 2016 is a source of uncertainty and confusion in the universities.
What should actually be done with the electronic semester apprentices from 1 January 2017? Further is currently
deleted or placed texts invisible. There is a need for action!
(Press Release)
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December 12th 2016
And they seem to still be able to move - KMK and VG-Wort. And the university rector conference (HRK) is now on board.
However, the transitional regulation from the beginning of 2017 is still unclear.
Debt to the present obvious disaster around the framework
contract to § 52a UrhG is ultimately the intolerable delay tactics of the policy.
(Press Release).
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November 23rd 2016
Folder with our recommendations for dealing with the framework contract between KMK and VG-Wort to § 52a UrhG has been published.
(Press Release)
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November 16th 2016
Offener Brief an den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas: „Bitte lassen Sie den Schleier von
diesem verdeckten Objekt [dem Entwurf einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht] wegreißen!
Der Öffentlichkeit ist das Spiel mit Andeutungen nicht länger zuzumuten.“
(Letter).
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older news is available from our archive |
Publications |
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All presentations given at our anual meeting von November 8, 2017 are online available:
-
Was wissen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
über ihre Urheberrechte,
wie handeln sie, und was wünschen sie?
- Studie im Auftrag des Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft e.V.
-
Folder with our recommendations for dealing with the framework contract between KMK and VG-Wort to § 52a UrhG
- Version: 22 November 2016
- Format: A4 duplex
-
Folder on our Current Demands
- Version: August 2015
-
Folder on a Comprehensive Copyright Clause in Support of Education and Science
- Version: August 2015
-
Folder on the Right for a Second Publication for Scientific Articles
- Version: July 2015
-
Information als Vitamin für Innovation: Schranken oder Lizenzen für Forschung und Lehre?
- Compilation for the annual meeting on October 10, 2013
-
Breite Unterstützung für eine umfassende Verbesserung des Urheberrechts für Bildung und Wissenschaft
- Evaluation of a survey and policy implications, September / October 2011
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Relevant Links |
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IUWIS
project is developing a social networking for the topic of copyright in
education and research.
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